Der Matronenkult und der Matronenstein von Mümling-Grumbach

In die Mauer, welche den Begräbnissplatz der Gemeinde Mimling-Crumbach im Odenwalde umgiebt, ist ein Stein eingefügt, auf welchem 3 sitzende menschliche Figuren, Körbe oder Schalen mit Baumfrüchten vor sich haltend, ausgehauen sind. So schrieb der Geheime Staatsrath Dr. Knapp in seinem Buch Deae Mairae zu Mimling-Crumbach um 1841. Heute ist das römische Matronenrelief in die nördliche Längswand der Bergkirche eingemauert.

Steinbildwerke dieser Art gibt es in unseren engeren Heimat zwischen Rhein, Main und Neckar keine weiteren. Man findet sie dagegen sowohl in Baden und im Elsaß, besonders am Niederrhein, in Belgien, Frankreich, Britannien und in Rom. Man findet sie also überall, wo die Römer im 1., 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. geherrscht haben. Und ohne Zweifel sind es auch römische Steinmetze und solche, die in römischen Werkstätten gelernt haben, gewesen, die diese Bildwerke geschaffen haben. Sie sind aber keine römischen Denkmäler, denn wichtig ist nicht, dass sie von römischen Steinmetzen gemacht sind, sondern dass sie allesamt Denkmäler keltischer und germanischer Gottheiten sind - Zeugen einheimischer Religion.
Die drei Gestalten, die auf anderen Steinen mit Inschriften als "Mütter" angerufen werden, sind in der römischen Mythologie unbekannt. Das ist im allgemeinen anerkannt und betrifft auch diese Matronensteine in Rom selbst; diese sind nämlich alle von kaiserlichen Gardereitern (quites singulares) in Auftrag gegeben und als Weihesteine aufgestellt worden - und die Reiter der kaiserlichen Garden stammen aus den germanischen und gallischen Provinzen.

Unter den vielen Steinen grenzt sich eine Gruppe besonders ab: die Steine vom Niederrhein, zu denen dem Typus nach auch der Grumbacher Stein gehört. Nur diese Gruppe zeigt die Matronen (oder besser Mütter) mit großen Rundhauben, die gallischen und britannischen Göttinnen sind immer unbedeckt. Wir finden hier also eine besondere germanische Denkmälergruppe vor, was auch mit der germanischen Besiedlung am Niederrhein übereinstimmt. Dasselbe bezeugen eindeutig die in diesen Bezirken häufig angerufenen Mütter,die z.B. die berühmten "matres Germanae Suebae" (Köln), die "matres Arvagastae" und die "matres Aufaniae" in Bonn.

Bei Nettersheim fand sich 1963 ein Tempel, der den Matronae Fachinehae gewidmet war und der vermutlich zu einem größeren Heiligtum gehörte, dessen Spuren jedoch bis heute nicht ergraben werden konnten. Münzen und Keramik lassen auf eine Nutzungszeit der Anlage vom 2. bis zum ausgehenden 4.Jh. schließen. Weitere Weihealtäre dieser Fachinehae kamen als Spolien aus einem fränkische Gräberfeld zu Tage, das sich in ca. 1000m Luftlinie nordwestlich des Tempels auf einer Kuppe befindet.
Die vacellinischen Matronen waren mütterliche Fruchtbarkeitsgöttinnen des hier ansässige Vacelli-Stammes. Ihre Aufgabe bestand darin, das Haus, das Feld und die umgebende Natur zu schützen. Die Verehrung von drei Göttinnen ist keltischen Ursprungs. Ursprünglich sollten sie an die "Große Göttin" erinnern, die Macht über Leben, Tod und Wiedergeburt besaß.

Ein kultisches Zentrum der Matronenverehrung war Bonn. Laut einem gefundenen Baustein wurde hier um 160 n.Chr.11 ein Matronentempel errichtet und im Jahr 164 ein erster, den AUFANIAE gewidmeter, Stein aufgestellt. Sein Stifter war der Kölner Stadtkämmerer Quintus Vettius Severus. Bei Ausgrabungen unter dem Münster kamen in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts 36 Weihe- steine für die Matronae Aufaniae zu Tage, sowie die Reste eines Tempels (Rundbögen, Gesimse und Pilaster). Die genaue Lage der Kulträume konnte jedoch noch nicht lokalisiert werden. Leider geben die Steine selber auch keinen Hinweis zu Aussehen und Größe des Heiligtums. Es scheint aber geradezu als habe das Heiligtum der Bonner Aufaniae, aufgrund der Menge der gefundenen Denkmäler, in jenen schweren Zeiten, wenn nicht als Wallfahrtsort, so doch als Heiligtum mit besonderem Rang gedient.

Der Grumbacher Matronenstein zeigt denselben Stil wie die Altäre in Bonn. Sie sind Kinder desselben Matronenkults. Die Bevölkerung an Rhein und im römischbesetztem Odenwald war damals gleich. Sie war römisch und keltisch, zum Teil auch germanisch. Im Odenwald wohnten damals keltischen Brittonen. Unter den römischen Offizieren erbauten sie Kastelle und Wachtürme am Odenwaldlimes. Erbauer der Kastelle am Mümlinglimes waren keltische Nemaningensis. Die Familien dieser Besatzungstruppen wohnten in den Römersiedlungen im fruchtbaren Mümlingtal.

Das Grumbacher Matronenrelief zeigt drei frontal nebeneinander sitzende Frauengestalten; jede von ihnen hält vor sich auf dem Schoß mit beiden Händen eine ovale Schale oder einen Korb, gefüllt mit Früchten. Alle drei Frauen tragen die gleiche Kleidung: einin Falten lang herabfallendes Untergewand, das nur die Fußspitzen sehen lässt, darüber einen um die Schultern gelegten und über die Ärmel herabfallenden Mantel, der über die Brust von einer doppelten Spange zusammengehalten wird. Die Füße der beiden links und rechts sitzenden Frauen ruhen auf einer niedrigen Stufe oder einem Sims; sie tragen große,das Gesicht scheibenförmig umschließende Hauben. Die mittlere Gestalt ist über ihre beiden Begleiterinnen erhoben, da sie auf einer Art Thron sitzend dargestellt ist. Das Gesicht dieser Frau ist abgeschlagen, doch zeigen die Reste, dass sie keine Haube trug wie ihre Gefährtinnen, sondern eine Lockenfrisur, über die ein zartes Tuch oder ein Schleier gelegt war. Die drei Frauen sitzen in einer halbrunden Nische, die über ihren Köpfen in einer muschelartigen Wölbung endet. Als das Relief 1841 vom Gräflichen Erbachischen Archivrat Christian Kehrer endeckt wurde war es in der Friedhofsmauer bei der Kapelle eingelassen. Die damals angefertigte Zeichnung gibt noch mehrere, heute nicht mehr erkennbare Einzelheiten der Bildhauerarbeit an, als wichtigste rechts vom Betrachter eine Säule mit verzierten Kapitell, die die Nische seitlich abschloss und den Muschelbaldachin über den Frauen trug. Damit ist klar, dass die Frauen in einem kleinen Tempel oder Heiligtum sitzend gedacht waren.

Montage der Skizze aus Deae Mairae, 1841 und dem heutigen Foto von 2001

Die historische Forschung hat gezeigt, dass Kulttraditionen, die schon in der Antike an einen bestimmten Ort hafteten, oft im Mittelalter, in christlichem Sinne umgedeutet, dort weiter fortlebten, obwohl eine unmittelbare Kontinuität selten nachzuweisen ist.

Wie verhält es sich damit in Mümling-Grumbach ?

In der Römerzeit verehrte man hier die Muttergottheiten. Im Mittelalter baute man auf dem gleichen Gelände eine schlichte Kapelle (die heutige Friedhofskapelle) und weihte sie dem Heiligen Aegidius. Das der heidnische Stein im Mittelalter nicht zerschlagen, sondern in unmittelbarer Nähe des Kirchleins sichtbar vermauert wurde, mag hauptsächlich an den großen, flachrunden Hauben der beiden seitlichen Figuren liegen, die man, ganzgleich mit welchen Heilgen man sie zu identifizieren versuchte, für Nimben hielt (Nimbus = Heiligenschein). Die Dreizahl legte eine Deutung als Drei Könige oder als Personifikation der drei christlichen Tugenden Fides, Spes, Caritas (Glaube, Hoffnung, Liebe) nahe.
Mögen die heutigen Bewohner des Mümlingtales sich der fast zwei Jahrtausende währenden heilbringenden Bedeutung der kleinen Kirche und ihrer Umgebung bewußt bleiben und sie vor jeder Zerstörung bewahren.

Quellen: Die germanischen Mütter, Dr. Koch, Hess. Landeszeitung(?) vom 10.05.1936
Der Matronenstein zu Mümling-Grumbach im Odenwald, Anita Büttner, OWHZ 5/1977


Foto: Herr Bechthold, Untere Denkmalbehörde Foto: Herr Bechthold, Untere Denkmalbehörde

Am 7.10. wurde ein Abdruck von der Firma Weinreuter aus Freiberg a.N.. des Matronenstein gemacht.
Der Abdruck wird an der Haselburg den alten beschädigten Abguss ersetzen.

Fotos: Herr Bechthold, Untere Denkmalbehörde

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